Sonderpädagogisches Gutachten 3

 

Gutachten

zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs (gem. § 11 Abs. 1 VO-SF)

 

Name:

Adresse:

Geburtsdatum:

Staatsangehörigkeit:

Erziehungsberechtigte:

Derzeitiger Förderort:

Gutachter:

Michaela Mustermann (Name geändert)

Musterstraße 1, 11111 Musterstadt

xx.xx.1996

deutsch

Elvira und Kurt Mustermann

Heilpädagogischer Kindergarten

Maike Brumberg (Lehrerin für Sonderpädagogik) und
Bruno Beispiel (Grundschullehrer)

1. Anlass und Fragestellung

Michaela Mustermann, geboren am xx.xx.1996, besucht zur Zeit den Heilpädagogischen Kindergarten in Musterstadt und wird zum Schuljahr xxxx/xx schulpflichtig. Herr und Frau Mustermann stellten am 09. April den Antrag auf Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs.

 

2. Verfahrensablauf

02. April Schulärztliches Gutachten

09. April Antrag auf Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs

18. April Beauftragung der Gutachter

07. Mai Gespräch mit der erziehungsberechtigten Mutter

20. Mai Ausfüllen des HKI durch die Mutter in Zusammenarbeit mir den Erzieherinnen im Kindergarten

24. Mai Verhaltensbeobachtung im Kindergarten und anschließend Gespräch mit der Gruppenleiterin und der Leiterin des Kindergartens

24. Juni Verhaltensbeobachtung in der Schule

 

3. Anamnese

Michaela wurde am xx.xx.1996 als drittes Kind der Familie Mustermann geboren. Sie hat einen älteren Bruder (17 Jahre alt) und eine ältere Schwester (15 Jahre alt).

Nach Angaben der Mutter verlief die Schwangerschaft normal, bis in der 34. Schwangerschaftswoche auffällige Herztöne des Babys festgestellt wurden. Mittels einer Amniozentese wurde festgestellt, dass bei Michaela das Down-Syndrom vorliegt. Nachdem Michaela zum errechneten Geburtstermin spontan geboren wurde, wurde sie direkt in der Kinderklinik aufgenommen. Es wurde ein totaler AV-Kanal festgestellt, der im August 1996 operiert wurde. Seitdem liegt bei Michaela nur noch eine Mitralklappeninsuffizienz vor, die sie im alltäglichen Leben jedoch nicht beeinträchtigt. Auch eine medikamentöse Behandlung ist nicht notwendig.

Eine Hörbeeinträchtigung, die die Anpassung von Hörgeräten notwendig machte, hat sich im Laufe ihrer Entwicklung ebenso wie eine Stabsichtigkeit, wegen der Michaela eine Brille trug, zurückgebildet. Michaela benötigt heute weder die Brille noch die Hörgeräte.

Schon seit frühester Kindheit erhielt Michaela bei der Caritas Frühförderung. Seit 1999 besucht Michaela den Heilpädagogischen Kindergarten in Musterstadtl. Hinzu kommt die wöchentliche krankengymnastische Behandlung sowie die logopädische Förderung.

 

4. Darstellung der Untersuchungsergebnisse

4.1 Selbstversorgung und Selbständigkeit

Zu diesem Bereich konnte die Gruppenleiterin genaue Angaben machen, die die Beobachtungen, die wir im Kindergarten und in der Schule machten, bestätigen.

Michaela ist in der Lage, sich unter Anleitung an- und auszukleiden. Besonders bei Verschlüssen benötigt sie aber Hilfestellung.

Die Mahlzeiten kann Michaela selbständig zu sich nehmen. Fleisch muss vorgeschnitten werden. Sie trinkt aus einem Glas oder einer Tasse, ohne viel zu verschütten. Auch das Trinken durch einen Strohhalm bereitet ihr keine Probleme.

Ein Toilettentraining wird im Kindergarten durchgeführt. Michaela macht nicht von sich aus auf das Bedürfnis zur Toilette zu gehen aufmerksam. Sie wird zu bestimmten Zeiten zur Toilette (im Kindergarten wird ein Töpfchen benutzt) gebracht. In der Nacht werden Windeln benötigt.

Michaela kann sich unter Anleitung selbständig die Hände mit Seife waschen und abtrocknen. Bei der Zahnpflege benötigt sie Unterstützung.

4.2 Wahrnehmung

Im Bereich der visuellen Wahrnehmung ordnete Michaela beim Spiel „Bunte Ballone“ die Farbplättchen den gleichfarbigen Ballons sicher zu. Auch im Bereich der Auge-Hand- Koordination scheint sie keine Schwierigkeiten zu haben. So nahm Michaela in der Beobachtungssituation im Kindergarten bei einem Steckspiel die einzelnen Formen gezielt auf und steckte sie in die Öffnungen. Dabei fiel jedoch auf, dass sie die entsprechenden Größen nicht richtig zuordnen konnte. Die Formen waren also entweder zu klein, passten aber in eine Öffnung, oder aber sie blieben auf dem Steckspiel über einer Öffnung stehen.

Die akustische Wahrnehmung ist nach Aussage der Gruppenleiterin im Kindergarten recht gut ausgeprägt. Michaela reagiert allerdings besser, wenn man laut spricht und ihr mit dem Gesicht zugewandt ist. Zu Hause hört Michaela sehr gerne Hörspiel-Kassetten wie zum Beispiel „Heidi“ oder „Benjamin Blümchen“, wobei sie die Lautstärke immer wieder lauter aufdreht. In der Beobachtungssituation in der Schule entdeckte Michaela, dass ihre Stimme im Aufbewahrungsraum der Spielfahrzeuge wider hallte. Sie erfreute sich an dem Schall ihrer „Uhu“-Rufe und klatschte begeistert in die Hände, nachdem sie feststellte, dass auch dieses Geräusch nach klang. Diese Entdeckung faszinierte sie minutenlang und sie konnte kaum überzeugt werden, den Raum wieder zu verlassen.

Im Bereich der vestibulären Wahrnehmung fiel in der Beobachtungsphase in der Schule eine langandauernde Form der Stereotypie ins Auge. Während Michaela andere Schüler sowohl im Klassenzimmer als auch auf dem Schulhof beobachtete, verfiel sie in ein permanentes Hin- und Herschaukeln im schulterbreiten Stand. Dieses Verhalten zeigte sie mehrmals mehrere Minuten lang. Auf diese Weise führt sie sich vestibuläre Reize zu. Im Unterstufenbereich der Schule schaukelte Michaela sehr gerne. Sie genoss es, auf dem Bauch liegend, auch von anderen Schülern angeschubst zu werden.

4.3 Motorik

Michaelas grobmotorisches Bewegungsverhalten lässt sich als wendig und geschickt beschreiben. Sie läuft leicht breitbeinig, was nach Aussage der Erzieherin durch die Windeln bedingt wird, die sie nachts und in besonderen Situationen (wie beim Besuch in der Schule, in der kein Töpfchen vorhanden ist) trägt.

Die Treppe geht sie Stufe für Stufe hoch und auch herunter, wobei sie das Geländer oder die Hand eines Erwachsenen als Hilfestellung benutzt. Einzelne Stufen bewältigt sie ohne Geländer. Treten beim Hinuntergehen Hindernisse auf, dreht sie sich und klettert rückwärts auf allen Vieren die Stufen herab.

Insgesamt kann ihre Fortbewegung als sicher bezeichnet werden.

Michaelas feinmotorische Bewegungsabläufe lassen sich als geschickt und koordiniert beschreiben. Problemlos und zielgerichtet schob sie die runden Plättchen des Spieles „Rund und Bunt“ in die entsprechenden Rundungen der Spielkarten. Auch das Ineinanderfügen zweier großer Puzzleteile bereitete ihr keine Schwierigkeiten. Sie arbeitet beidhändig und lässt keine Rechts- oder Linksdominanz erkennen. Als auffällig lässt sich auch ihr ausgeprägter Pinzettengriff bezeichnen, der besonders zum Einsatz kommt, wenn sie flache Gegenstände von Tisch aufnehmen möchte.

4.4 Kognition

Michaela kann sich innerhalb des Kindergartens gut orientieren und findet die verschiedenen Räume. Innerhalb des Gruppenraums im Kindergarten weiß sie ebenfalls, wo welche Materialien stehen.

Einfache zeitliche Reihenfolgen kann sie verstehen (z.B. „Erst musst Du die Tür zu machen, dann kannst Du schaukeln!“).

Ihre Konzentrationsspanne kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei selbst gewählten Aufgaben, die ihr Spaß machen (z.B. Bildkarten sortieren und beschreiben oder Bilderbücher kommentieren), kann sie über eine halbe Stunde konzentriert arbeiten. Andere Aufgaben bricht sie schon nach sehr kurzer Zeit ab.

4.5 Sprache

Michaela spricht in der Regel in Ein- bis Zweiwortsätzen, wobei es zeitweise aufgrund ihrer undeutlichen Sprache schwierig ist, sie zu verstehen. Sie ist gut in der Lage, auf ihre Bedürfnisse und Wünsche hinzuweisen.

Ihr passiver Wortschatz ist nach Aussage der Eltern und Erzieher sehr gut. Dieses konnte auch in der Schule beobachtet werden. Michaela versteht vorgelesene Geschichten und befolgt verbal formulierte Anweisungen richtig.

Sie erhält weiterhin Logopädie in Belecke, damit ihr aktiver Wortschatz sowie ihre Artikulationsfähigkeit gesteigert werden kann.

4.6 Sozialverhalten

Michaela macht einen fröhlichen und freundlichen Eindruck. Sie trat uns immer fröhlich und offen entgegen. In der Schule machte es ihr scheinbar nichts aus, dass die Mutter ging uns sie alleine ließ. Sie zeigte deutliches Interesse an einer Schülerin, die sie aus dem Kindergarten kannte.

Im Kindergarten nimmt sie angemessen Kontakt zu den anderen Kindern ihrer Gruppe auf und spielt mit diesen. In der Schule blieb es die meiste Zeit dabei, dass sie den anderen Kindern beim Spielen zuschaute. Sie ließ es aber auch gerne zu, dass andere Kinder sie in der Hängematte oder auf der Schaukel anschubsten.

Die Mutter berichtete, dass Michaela in der Dorfgemeinschaft viele soziale Kontakte hat. Sie bleibt auch schon mal einige Zeit lang bei den Großeltern oder Nachbarn.

Michaela ist in der Lage, Affekte wie Freude, Trauer und Wut deutlich zum Ausdruck zu bringen.

 

4.7 Ergebnisse des Heidelberger-Kompetenz-Inventars (HKI) für Geistigbehinderte

In der Zeit bis zum 20. Mai 2001 wurde das HKI von der Mutter in Zusammenarbeit mit den Erziehern im Kindergarten ausgefüllt.

Es ergibt sich als Ergebnis ein Prozentrang bis 50%. Einschränkend muss jedoch festgestellt werden, dass das HKI erst für Kinder ab dem 7. Lebensjahr vorgesehen ist und die Ergebnisse somit relativiert werden müssen.

Michaela erreichte im Einzelnen folgende Prozentrangwerte:

1.0 Praktische Kompetenz:

1.1 Nahrungsaufnahme/ Kleidung
1.2 Hygiene
1.3 Sicherheitsverhalten
1.4 Praktische Fertigkeiten

 

PR bis 25

PR bis 25
PR bis 25
PR bis 50
PR bis 50

 

2.0 Kognitive Kompetenz:

2.1 Verkehr und Aktionsradius
2.2 Geld/ Einkaufen
2.3 Inanspruchnahme von Dienstleistungen und öffentlichen Einrichtungen
2.4 Zeitliche Orientierung
2.5 Geometrische Grundbegriffe
2.6 Rechnen
2.7 Lesen/ Schreiben
2.8 Sprachverstehen
2.9 Sprachproduktion

 

PR bis 50

PR bis 75
PR bis 25 
PR bis 50
PR bis 50
PR bis 25
PR bis 25
PR bis 75
PR bis 75
PR bis 50

 

3.0 Soziale Kompetenz:

3.1 Lern- und Arbeitsverhalten
3.2 Identitätsfindung/ Selbstkonzept
3.3 Selbstkontrolle
3.4 Selbstbehauptung
3.5 Perspektivenübernahme/ Sozialkontakt
3.6 Kooperation/ Soziale Regeln

 

PR bis 75

PR bis 75
PR bis 50
PR bis 90
PR bis 75
PR bis 75
PR bis 90

 

Gesamtkompetenz:

PR bis 50

 

5. Sonderpädagogische Förderschwerpunkte

Förderschwerpunkte ergeben sich insbesondere in den folgenden Bereichen:

Selbstversorgung und Selbständigkeit

Wahrnehmung

Motorik

Kognition

Sprache

Sozialverhalten

 

6. Ergebnisresümee

Die im Verlauf des VO-SF ermittelten Ergebnisse weisen übereinstimmend darauf hin, dass bei Michaela eine Entwicklungsretardierung vorliegt, die alle Persönlichkeits- und Lernbereiche betrifft.

Die beschriebene Lernausgangslage erfordert eine sonderpädagogische Förderung mit spezifischen Entwicklungs- und Strukturierungshilfen für eine aktive Lebensbewältigung. Aus diesem Grund empfehlen wir die Einschulung in die Schule für Geistigbehinderte (Sonderschule).